Mehr als 16 Monate hat sich der Petitionsausschuss des Bundestages Zeit gelassen. Im Mai 2022 hatten die beiden Initiatoren der Kampagne #ichrettedeinleben, Notärztin Dr. Carola Holzner, bekannt in Funk und Social Media als Doc Caro, und Professor Dr. Bernd Böttiger, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Rates für Wiederbelebung (GRC), Klinikdirektor an der Uniklinik Köln und Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), knapp 85.000 Stimmen in einem symbolischen Akt in Berlin übergeben. Beide fordern die Einführung von zwei Stunden Wiederbelebungsunterricht für jedes Kind in Deutschland spätestens ab der siebten Klasse – um jährlich 10.000 Menschenleben zu retten. Der Bund aber wies das Anliegen im Oktober zurück in die 16 Bundesländer. „Wir sind schwer enttäuscht!“, sagen Holzner und Böttiger. Den Eingang ihres Anliegens haben zumindest jetzt alle Länder bestätigt. Mehr aber auch nicht…
„Es ändert sich einfach nichts“, so Prof. Bernd Böttiger. „Was wir jetzt bekommen haben, ist ein langer Brief. Eine völlige Verschwendung menschlicher Ressourcen!“ Dr. Carola Holzner unterstreicht: „Dabei finden alle, die wir treffen, unsere Forderung immer wichtig, richtig und unterstützenswert – aber keiner packt es an!“ Sie hatte sogar Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei einem persönlichen Treffen vor laufender Kamera das Versprechen abgenommen, dass er sich für Wiederbelebungsunterricht in Schulen einsetzen werde. Denn eigentlich wäre es so simpel.
Nur nichts zu tun, ist tödlich!
Holzner und Böttiger wissen als Notärztin und Klinikdirektor der Intensivmedizin genau, wovon sie sprechen. Sie haben echte Menschen vor Augen, denen sie als Profis nicht mehr helfen konnten – weil Angehörige oder Passanten als Zeugen eines Herz- Kreislaufstillstands nicht wussten, was sie hätten tun müssen. Und das wäre PRÜFEN – RUFEN – DRÜCKEN, die Faustformel im Notfall. Diese beherrschen in Deutschland bis heute leider nicht viele Menschen. „Das kostet viele unserer Patienten das Leben“, erklärt Holzner. Wenn sie als Notärztin eintreffe, sei das Gehirn schon häufig zu lange ohne Sauerstoff – denn das Blut des Patienten hätte bis zur Ankunft durch eine Herzdruckmassage zirkulieren müssen.
Sieben Minuten, die Zeit, die der Notarzt durchschnittlich nach einem Notruf zum leblosen Patienten braucht, sind für das Gehirn eine zu lange Zeit. Es braucht dringend den Sauerstoff, der noch im Blut ist. Wenn das Herz aber nicht mehr schlägt, muss ein anderer Mensch die Pumpleistung erbringen. Weil dies nicht passiert, sterben mindestens 10.000 Menschen jedes Jahr in Deutschland, die eigentlich – wie der dänische Fußballnationalspieler Christian Eriksen – wieder sehr gut ins Leben hätten zurückkehren können.
Kinder trauen sich und tragen das Thema in die Gesellschaft
„Kinder haben keine Angst zu helfen, tragen das Thema in die Familien und weiter in die Gesellschaft“, zitiert Böttiger aus eigenen weltweiten Empfehlungen und renommierten internationalen Studien. „Es funktioniert!“ Andere Länder würden es auch schaffen, die Überlebensraten bei Herz-Kreislaufstillstand zu verdreifachen. In Deutschland werde das Problem allerdings weiterhin nicht allumfassend und strukturiert angegangen.
„Mit einer einzigen Stunde pro Schulhalbjahr würde Leben retten so selbstverständlich wie Fahrrad fahren oder schwimmen“, sind Böttiger und Holzner überzeugt.
Ein Auftrag aus dem Petitionsausschuss wäre nicht zu ignorieren gewesen
Die beiden Notfall- und Intensivmediziner hatten auf einen Beschluss unmittelbar aus dem Petitionsausschuss des Bundestages gesetzt. So war es von mehreren Mitgliedern des Ausschusses vorab in Aussicht gestellt worden. Ein solcher Beschluss wäre dann als Auftrag vom Bund an die Länder zu verstehen gewesen. Stattdessen aber schreibt der Petitionsausschuss „(…) dass er das Anliegen des Petenten nach einer verpflichtenden Einführung von Reanimationsunterricht in Schulen für sehr wichtig hält. Da der Petent die bundesweite Einführung von Reanimationsunterricht in Schulen fordert, möchte der Petitionsausschuss jedoch auf die bundeseinheitliche Ordnung und Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern hinweisen, wonach das Schulwesen als Bestandteil der Kulturhoheit im Verantwortungsbereich der Bundesländer liegt. (…)“ Der Bundestag könne daher über die verpflichtende Einführung von Schulstunden nicht Beschluss fassen.
Es ist also lediglich der Ball ins Feld der 16 Bundesländer gespielt worden. „Einige Länder sind sogar verwundert, dass wir jetzt wieder bei ihnen auf der Matte stehen“, sagt Böttiger. „Wenn es nicht so traurig wäre, müsste ich fast lachen. Es ist ja nicht so, dass wir nicht auch dort schon individuell unser Anliegen vorgebracht hätten.“
Wir werden nicht lockerlassen!
Trotzdem haben Holzner und Böttiger sich gegenseitig „Durchhalten“ zugesichert. Im Herbst 2021 hatten sie sich versprochen, mit Blick auf ihre Patienten nicht lockerzulassen, bis in ganz Deutschland Wiederbelebungsunterricht in den Schulen eingeführt würde. Dabei werden sie von zahlreichen Playern aus dem Gesundheitswesen unterstützt.
„Wir werden kurz Atem holen – um dann weiter unseren Langstreckenlauf anzugehen“, sagen beide. Ein bitterer Beigeschmack bleibt trotzdem!